Jennifer Rostock ist eine Band, die laut ist, rotznäsig und, in letzter Zeit, zunehmend provokativ Stellung zu sozial-politischen Themen nimmt. Nach ihrem Anti-AfD Song schlägt ihr neues Lied „Hengstin“ aktuell hohe Wellen. Mehr als 2.8 Millionen Mal wurde der Clip von „Hengstin“ bereits auf YouTube angesehen. In diesem rappt Frontfrau Jennifer Weist mitunter splitterfasernackt mit gespreizten Beinen frontal in die Kamera – und kritisiert Sexismus.
Ich glaube nicht daran, dass mein Geschlecht das schwache ist
Ich glaube nicht, dass mein Körper meine Waffe ist
Ich glaube nicht, dass mein Körper deine Sache ist
Eine komplett nackte Sängerin, die nur ihre Brustwarzen und ihren Schritt verdeckt. Dazu ein gepfefferter Text, in dem sie sich von der Degradierung von Frauen zu Lustobjekten bis zu Herrenwitzen und sozialisierter weiblicher Konformität durch die feministische Agenda rappt. Wie passt das zusammen?
In einem Interview erklärte Weist: „Eine Hengstin ist eine Frau, die ihren Körper liebt, die auch kein Problem damit hat, ihren Körper zu zeigen und einfach nichts darauf gibt, was andere sagen.“
Diese Einstellung half der Band wohl bei dem Shitstorm, der teilweise in den Kommentar-Spalten von Facebook und YouTube ausgebrochen ist, cool zu bleiben.
Polarisieren tut hierbei weniger der Text des Liedes oder gar die Musik, als die Präsentationsform. Dabei ist „sex sells“ doch ein wohl etabliertes Mantra in der Musikbranche. Erinnern wir uns z.B. an Robin Thickes „blurred lines“ Video, welches berechtigterweise als Verharmlosung von Vergewaltigung kritisiert wurde. Hier tanzten die stummen, quasi nackten „good girls“ wie wackelnde Sexpuppen unterwürfig um den vollständig bekleideten notgeilen Sänger herum.
Im Gegensatz dazu wissen viele Zuschauer_innen nicht genau was sie vom „Hengstin“ Video halten sollen, denn es ist ein Paradox. Einerseits präsentiert die Sängerin in provokativster Pose ihre nackten Tatsachen. Andererseits keift sie einen an, sie nicht auf ihren Körper zu reduzieren. Sie hält der Mediengesellschaft den Spiegel vor und spuckt mit ihren Hengstin-starken Worten drauf. Man stelle sich vor, die halbnackten BILD-Girls fingen plötzlich an wütend den Zuschauer anzupöbeln: „Sportteil, Weltgeschehen – alles voller VIPs Very Important Penises – wo sind die Macherinnen in der BILD?“ Verwirrung wäre wohl die mildeste Reaktion. Dennoch schafft die Spannung zwischen sexualisierten Bildern und gegen Sexismus wetternden Texten zwei Dinge auf jeden Fall – Aufmerksamkeit und Diskussion.
Auch wir haben im Vorfeld dieses Posts kontrovers diskutiert ob Nacktheit im Kampf gegen Sexismus hilft oder nicht. Unsere unterschiedlichen Meinungen möchten wir Euch nicht vorenthalten.
Johanna: Nein, es ist kontraproduktiv!
Zwar hat das Video viel Aufmerksamkeit erhalten, aber wer hat wie reagiert? Die Menschen, die sich sowieso schon für Feminismus interessieren verstehen Jennifer Weists Nacktheit als kämpferischen und vielschichtigen Protest gegen Sexismus. Sie loben ihr mutiges Engagement und sehen die gesamte Initiative. Zu der gehören nämlich auch die mit Refinery39.de entstandenen „Hengstin“-Videos, die vorbildlich starke Frauen in ihren Domänen vorstellen. Die kurzen Clips der (bekleideten) Frauen, z.B. Ex-Schwimmerin Britta Steffens und Leichtathletin Vanessa Low wurden jeweils über 10.000 Mal angeguckt.
Aber es ist das Ziel von Aktivismus so viele Menschen wie möglich zu erreichen und, vor allem, nicht nur Gleichgesinnte. Dafür ist die nackte Präsentationsform kontraproduktiv, denn sie lenkt von der tollen Botschaft des Liedes ab. Einige finden es einfach nur geil die Sängerin nackt zu sehen und kümmern sich nicht um den Inhalt ihres Liedes oder das dahinterstehende Anliegen für mehr Gleichberechtigung aller Geschlechter. Andere fremdschämen sich angesichts dieses unangenehmen Videos und werden eher weggucken, anstatt sich mit dem Thema Sexismus intensiver auseinandersetzen zu wollen. Viele werden die Botschaft nicht ernstnehmen, weil die Sängerin ihren Körper eben auch nur nutzt um Aufmerksamkeit zu bekommen. Zudem signalisiert es jungen Mädchen genau das, wogegen auch wir als Kampagne angehen - dass Frauen nur Aufmerksamkeit bekommen wenn sie ihren Körper zeigen bzw. sich ausziehen und nicht alleine weil ihre Meinung oder ihr Können zählt.
Lisa: Ja, warum nicht?
„Was ist an ein paar Brüsten oder Hintern auszusetzen?“ fragen auch die Kritiker_innen unserer Kampagne. Und es stimmt - weibliche Nacktheit zeichnet sich heute durch eine unvergleichliche Brisanz und Mehrdeutigkeit aus. Eine nackte Frau in einer Tageszeitung - „Sex sells, das wollen die Lesenden sehen“ - eine Sängerin, die sich in ihrem Musikvideo nackt präsentiert - „Man, ist die billig!“ Und wieso? Weil der Frauenkörper seit jeher als sexy Dekorationsobjekt für Werbung oder Zeitungen wie BILD ausgeschlachtet wird, sodass manche Menschen Körperteile nicht mehr von Lustobjekten unterscheiden können (Beispiel: Stillen in der Öffentlichkeit) und Frauen ihr Verhalten einschränken, um Abwertungen zu vermeiden. Und genau auf diese Bigotterie können Videos wie das von Jennifer Rostock hinweisen. Natürlich können Brüste und Hintern sexy sein. Sie jedoch darauf zu reduzieren birgt Gefahren, z.B. dass junge Mädchen dafür bestraft werden, wenn sie in der Schule zu viel von ihrem Körper zeigen. Dem weiblichen Körper muss seine Gefährlichkeit und Brisanz genommen werden und wir müssen ihn seiner Fremdbestimmung entreißen. Jennifer Rostocks selbstbestimmtes Präsentieren ihres Körpers und ihr gleichzeitiger Ausspruch gegen Sexismus sind dafür ein gutes Mittel. Sie zeigt, dass Nacktheit nicht gleich Nacktheit ist und dass der Körper einer Frau nur ihr selbst und nicht der sexistischen Medienlandschaft oder Gesellschaft gehört.
Nackt oder nicht nackt, wir von StopBILDSexism freuen uns über Jennifer Rostocks Engagement gegen Sexismus und für mehr Gleichberechtigung. Wir finden es ist an der Zeit, dass sich mehr Bands diesen wichtigen Themen widmen und fordern die Musikbranche auf Sexismus nicht zu tolerieren.
Johanna P. & Lisa P.
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