"Queer" BILD und der vermeintlich tolerante Heterosexismus

 

„Lol die Flagge ist falschrum ihr Anfänger.“

 

 

BILD will sich nun voll und ganz der queeren community widmen und erntet dafür nicht unbedingt stürmische Begeisterung.Der misslungene Umgang mit dem neuen Logo zeigt schön, dass BILD mit ihrem „queeren“ Format in etwa so sorgfältig umgeht wie mit allen ihren „journalistischen“ Leistungen. Irgendeinen Hinweis aufgeschnappt? Schreiben wir schnell mal etwas, das in unser Weltbild passt. Wenn sich hinterher herausstellt, dass die Darstellung falsch war – wen juckts, so lange der erste Eindruck stimmt?

 

 

In diesem Fall führte das dazu, dass Queer BILD sich mit einem Logo schmückt, in dem statt der Regenbogenflagge der LSBTQ+-Bewegung die Flagge der Friedensbewegung zu sehen ist - erkennbar nicht nur an der ‚umgekehrten‘ Farbanordnung, sondern auch an einem zusätzlichen Farbstreifen. Bei näherem Hinsehen ist natürlich klar, warum diese Flagge so schön ins BILD-Konzept passt: auf ihr lässt sich das BILD Logo praktischer Weise auf gewohnt rotem Grund, hübsch am unteren Bildrand anordnen. BILD schreibt – und die Fakten passen sich dem Corporate Design an.

 

 

So weit, so wenig überraschend. BILD betreibt seit Jahren schlechten Journalismus – auch über Mitglieder der queeren community. Dass es jetzt so gesammelt als eigene Rubrik passiert, soll wohl den Eindruck erwecken, BILD wäre plötzlich interessiert an Minderheitenrechten und Repräsentation. Oder zumindest, so die Selbstbeschreibung auf der Facebook-Seite an den „Top-Themen der LGBT Communtiy.“ Jedenfalls daran, queere Leser*innen anzusprechen.

 

 

Was die Seite stattdessen erreicht, ist eine Zirkusshow für heterosexuelle Leser*innen, homo- und transphobe Stereotype im Preis inbegriffen. Etwas anderes zu behaupten, ist in etwa so, als würden die BILD-Girls als „Top News zu Frauenthemen“ bezeichnet. Klar, es geht irgendwie um Frauen – aber das Zielpublikum sind heterosexuelle Männer.

 

Schaut man sich zum Beispiel die Art an, wie Links auf dem Queer BILD Facebook-Auftritt angeteasert werden, findet man Sätze wie diese:

 

 

„Kolumnistin Felicia Mutterer schreibt heute wieder aus Lesbenhausen“,

„Zwillingsbrüder drehen ein Video über die App ‚Grindr‘“ und

„Wie stehst du zum Thema Homo-Ehe?“

 

 

Gehen wir mal davon aus, die Zielgruppe von Queer BILD sei tatsächlich selbst queer – können wir dann nicht davon ausgehen, dass lesbische Frauen wissen, wie es sich in ‚Lesbenhausen‘ lebt? Dass queere Männer schon wissen, dass es sich bei diesem mysteriösen Grindr um eine App handelt? Und dass die Leser*innen zur „Homo-Ehe“ (netter antiquierter Begriff übrigens, BILD) ungefähr genauso stehen wie zur Heten-Ehe?

 

 

Dass sich die Queer BILD hauptsächlich an Heterosexuelle richtet, wäre überhaupt nicht schlimm – Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist schließlich ein wichtiges Thema! Das Problem ist, dass die Berichterstattung extrem beschränkt daher kommt:

 

 

1) LGBT/Queer = schwul

 

 

Die Mehrheit der unter Queer BILD zu findenden Artikel scheint sich um schwule (oder nicht näher bezeichnete, nicht-heterosexuelle) Männer zu drehen. Die Aufstellung „LGBT Serien, die du gesehen haben musst“, führt beispielsweise ausschließlich Serien auf, deren LGBT-Charaktere schwul sind. Und das, obwohl in den letzten Jahren Serien wie Transparent, How to get away with murder, Orphan Black, Orange is the new black, und viele weitere mit ihrer Darstellung von queeren Charakteren für Aufsehen gesorgt haben. Das scheint aber genauso an der BILD vorbei gegangen zu sein wie die Bedeutung des Begriffs ‚queer‘, mit dem sie sich ja immerhin schmückt.

 

 

„‘Queer‘ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für homosexuell“, schreibt die Zeitung beispielsweise an einer Stelle, und übersieht damit zwei entscheidende Dinge: queer war ursprünglich ein Schimpfwort, es ist also vor allem dann angemessen, wenn Personen, die sich selbst damit identifizieren, es sich wieder aneignen. Darüber hinaus bezeichnet ‚queer‘ weit mehr als einfach nur homosexuelle Menschen: es ist ein Sammelbegriff für alle geschlechtlich und sexuell von der Norm abweichenden Identitäten, und im weiteren Sinne ein politisches Programm mit dem Anspruch, Normen zu hinterfragen und aufzubrechen. Was mich zum nächsten entscheidenden Fehler der Queer BILD bringt.

 

 

2) Queer = vor allem ein interessantes Spektakel

 

 

In „guter“ alter BILD-Manier finden sich natürlich auch unter den Queer BILD Beiträgen besonders prominent solche, die plump das Thema Sex in den Vordergrund rücken. Berichte über Sexparties, Nina Queers Geplauder darüber, dass der Schwimmbadbesuch für sie eigentlich eine einzige große Fleischschau sei (wo bleibt hier eigentlich die Empörung, die in der Berichterstattung über angeblich übergriffige Flüchtlinge im Schwimmbad noch selbstverständlich war?), ein Artikel über ein schwules Zwillingspaar, der sich in der Hauptsache damit beschäftigt, wie vielen schwulen Männer die Phantasie von einem inzestuösen Dreier mit Zwillingen gefällt.

 

 

Das könnte man als ‚gleiches Recht für alle‘ und eine Übersetzung von BILDs Sex-und-Skandal-Unterhaltungsprogramm in den nicht-heterosexuellen Bereich interpretieren. Diese Logik funktioniert allerdings genauso wenig, wie die Einführung eines BILD Boys das Ende der sexistischen BILD-Linse bedeuten würde. Männer und Frauen, heterosexuelle und queere Menschen werden nicht nur unterschiedlich OFT dargestellt, sondern auch einfach UNTERSCHIEDLICH. Oder käme die BILD bei einem heterosexuellen Geschwisterpaar automatisch auf den Gedanken, wie viele Menschen sich wohl Sex mit ihnen beiden wünschen?

 

 

Darüber hinaus spielt der gesellschaftliche Kontext eine Rolle und die Art und Weise, wie Darstellungen unterschiedlich wahrgenommen werden. Wenn beispielsweise Hetero-Männer den Schwimmbad-Aufenthalt dazu nutzen, Frauen in Bikinis zu beglotzen, wird das eher achselzuckend hingenommen – es sei denn, sie werden übergriffig, und selbst dann wird die Frau sich noch dazu befragen lassen müssen, ob sie dieses Verhalten nicht irgendwie herausgefordert hat und wie schlimm es denn tatsächlich war. Dagegen der Gedanke, von einem schwulen Mann mit Interesse betrachtet zu werden oder sich mit ihm auch nur eine Umkleidekabine teilen zu müssen, ist für viele Männer immer noch ein ekelhafter Gedanke – und für manche schlimm genug, um als Motivation für homophobe Gewalt zu dienen. Jetzt mag jede*r für sich überlegen, in welchen Kontext ein*e Leser*in es einordnen wird, wenn eine schwule Drag Queen wie Nina Queer von ihrem Schwimmbecken als „Nudelsuppe“ schreibt.

 

 

3) Deutschland = das Friede-Freude-Eierkuchen-Land für queere Menschen

 

 

Wo sich doch mal so etwas wie Nachrichten oder eine Reportage in die Inhalte der Queer BILD verirrt, dient das gerne dazu, dass Lesende sich zuhause vor dem Bildschirm davor gruseln können, wie schlimm die politische Lage für queere Menschen sein könnte – um sich gleich darauf auf die Schulter klopfen zu können, weil ‚wir in Deutschland‘ es ja viel besser haben.

 

 

Da findet sich zum Beispiel eine Reportage über einen schwulen Syrer, der als Geflüchteter in Deutschland lebt, und sich verständlicher Weise darüber freut, in einem Umfeld zu leben, in dem seine sexuelle Orientierung nicht strafbar ist. Kein Wort leider über die Probleme, denen queere Geflüchtete auch nach ihrer Ankunft im angeblich so sicheren Deutschland ausgesetzt sind: unsichere Unterbringung in homophobem Umfeld; Übersetzer*innen, die im Asylprozess Informationen zu Diskriminierungserfahrungen in der Heimat verschweigen; Polizist*innen, die auf Hilferufe bei homophober Gewalt nicht reagieren, weil sie der Ansicht sind, dass Geflüchtete ihre Probleme „unter sich ausmachen“ sollen; unangenehme Fragen zum Privat- und Sexualleben als „Beweis“ für die Verfolgung aufgrund sexueller Identität.

 

 

Anderes Beispiel: In einem Artikel über Milo Yiannopoulos gibt sich die Queer BILD erstaunt-beeindruckt davon, wie es jemand schafft, schwul und gleichzeitig so intolerant zu sein – eine berechtigte Frage, die man so auch in Bezug auf die lesbische Spitzenkandidatin AfD für die Baden-Württembergischen Landtagswahlen stellen könnte, aber für ein Portrait von Alice Weidel war wohl noch keine Zeit.

 

 

Das ist nicht der Versuch, so zu tun, als wäre es um LSBTQ+ Rechte in Deutschland gleich bestellt wie in Syrien, oder als wäre der Einfluss von Milo Yiannopoulos austauschbar mit dem von Alice Weidel. Aber wo so getan wird, als wären Probleme vor der eigenen Haustür zu vernachlässigen im Vergleich mit denen, die anderswo auf der Welt existieren, verlieren diejenigen, die ‚bei uns‘ von Problemen betroffen sind, eine Möglichkeit, damit ernst genommen zu werden. Oder anders gesagt: Eine Zeitung, die Drag Queens spaßhaft als ‚Transen‘ bezeichnet, kann natürlich nicht zugeben, dass das selbe Wort verwendet wird, um trans Frauen und Mädchen zu mobben.

 

 

Wie oben bereits erwähnt, schmückt sich die BILD mit dem Wort queer mit einem Begriff, der ursprünglich von einer Beleidigung in ein Symbol des politischen Widerstands umgedeutet wurde. Wenn der selbe Begriff jetzt verwendet wird, um stattdessen der Unterhaltung eines Hetero-Publikums zu dienen, dann schießt das nicht nur am Ziel vorbei, sondern ist genau das Gegenteil.

 

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