Polen geht auf die Straßen: Black Protest und Equality Festival in Wrocław

Im vergangenen Jahr gingen Frauen in Polen für ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung auf die Straßen, als dieses durch einen restriktiven Gesetzesentwurf zum Abtreibungsverbot massiv gefährdet war. In Deutschland zeigt sich momentan, dass wir auch hier den Kampf um körperliche Souveränität alles andere als gewonnen haben.


In Gießen findet nun am 24. November 2017 der Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel statt, welche mehrfach von Abtreibungsgegnern gemäß des alten Naziparagraphens §219aStGB wegen angeblichen Werbens für Abtreibungen angezeigt wurde. Dabei hatte sie lediglich Informationen über Schwangerschaftsabbrüche und die Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch auf ihrer Website aufgeführt. (Eine Petition, mit deren Unterzeichnung ihr Kristina Hänel unterstützen könnt, findet ihr hier).

 

Angesichts solcher Anfeindungen ist es umso wichtiger, positive Beispiele für feministischen Aktivismus hochzuhalten und zu zeigen, dass der Kampf für das Recht über den eigenen Körper noch immer nicht vorbei ist, weder hier, noch in Polen. Unser neues Teammitglied Anne berichtet deshalb über die aktuelle Situation in Polen, wo Aktivist*innen ihr Engagement aus dem vergangenen Jahr noch immer fortsetzen.

 

Die erste Oktoberwoche war somit wohl eine der wichtigsten Wochen überhaupt im Hinblick auf die Rechte von Frauen und LGBTQ in Polen. Seit 2015, mit der nationalkonservativen PiS-Regierung im Amt, werden Frauen, Homosexuelle sowie andere Minderheiten zunehmend in ihren Rechten beschnitten. Dagegen setzt sich polnische Zivilgesellschaft zunehmend zu wehr. 

Czarny Protest - Black Protest

Dieses Jahr gingen am 3. Oktober wieder tausende Frauen und Männer auf die Straßen. Anlässlich des diesjährigen Protests brachten sie vor allem ihr Entsetzen über die Ignoranz fundamentaler Frauenrechte zum Ausdruck und machten auf ihre spürbar zunehmende Diskriminierung im öffentlichen Raum aufmerksam.

2016 hatte der Massenprotest wesentlich zum Scheitern des geplanten Abtreibungsverbots beitragen können. Die Polinnen werden jedoch weiterhin systematisch in ihrem Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt. So ist beispielsweise die Notfallverhütung nicht mehr frei erhältlich und Ärzte können die Verschreibung aus “religiösen Gründen” ablehnen. Öffentliche Auskunft über Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch beispielsweise via Internet oder Sorgentelefone werden genauso wie noch in Deutschland strafrechtlich geahndet. Hinzukommen Schullehrbücher, die vor schweren Krankheitssymptomen bei der Verhütung mit Kondomen warnen.. Sex scheint demzufolge lediglich aus Fortpflanzungsgründen legitim – zum Leidwesen der Frauen. Den entscheidenden Beitrag hierzu leistet die katholische Kirche. Sie ist sich ihrem enormen Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik bewusst, weshalb sie auch weiterhin Unterschriftenkampagnen für eine Neuauflage des Abtreibungsverbots unterstützt. 

Fotos vom Czarny Protest in Wrocław hier © R. Biernacki 

In Wrocław (europäische Kulturhauptstadt 2016) wurden zum Abschluss der Demonstration auf dem Marktplatz sexistische und frauenverachtende Äußerungen von polnischen Abgeordneten und Richtern verlesen und anschließend laustark von der Menge ausgebuht.

 

Besonders auffällig war in dieser Stadt auch das große Polizeiaufgebot und die willkürlich durchgeführten Identitätsfeststellungsmaßnahem. Obwohl der friedliche Verlauf keinen Anlass dazu gegeben hätte, folgten schon am nächsten Tag Berichterstattungen über Vorladungen und Anzeigen wegen angeblicher Störung der Gegendemonstration von Prolife. In Warschau, Łódź und anderen Städten wurden sogar Computer von Frauenrechts-Organisationen und anderen Befürwortern des Protests konfisziert. Klar ist, dass die Bevölkerung mit solchen Maßnahmen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden soll. Die Betroffenen wollen sich aber weiterhin organisieren, rekrutieren, laut sein und für ihre Rechte kämpfen. Viele von ihnen befürchten nämlich, dass schon bald ein neuer Gesetzesentwurf zum vollständigen Abtreibungsverbot dem Parlament zur Abstimmung vorliegen könnte. 

Za miłość naszą i waszą – Für unsere Liebe und deine

Ein weiteres wichtiges Event in dieser Woche war das von dem Verein Kultura Równośc in Wrocław organisierte Equality Festival. Den Höhepunkt bildete hierbei der 9. und bisher größte Equality Marsch am 7. Oktober mit mehr als 3.000 Menschen. Doch im Gegensatz zu den vorherigen Märschen wurde für dieses Jahr erstmalig mit der Anmeldung von insgesamt 18(!) Gegendemonstrationen Widerstand durch die nationalistische Jugendbewegung Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend) angekündigt. Vor gewaltsamen Aggressionen wurde schon mehrere Tage zuvor gewarnt. Um auch Unterstützung aus der Politik im Kampf gegen Homo- und Transphobie, Rassismus sowie Diskriminierung zu erhalten, wurde ebenfalls der amtierende Bürgermeister Rafał Dutkiewicz (parteilos) eingeladen. Doch wie schon in den letzten Jahren verweigerte er die Teilnahme, da er keine Notwendigkeit für einen Bürgermeister sieht, solche “Ansichten” öffentlich zu vertreten. Und wohl auch aus taktischem Kalkül: Medien zufolge will er bei der nächsten Präsidentschaftswahl kandidieren...

Im Rahmen des neuntägigen Festivals hatten unter Anwesenheit von Experten Interessierte und direkte Betroffene die Möglichkeit beispielsweise mehr über alternative Familienmodelle zu erfahren oder über ein potentielles Recht auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare zu diskutieren. Zum Abschluss wurde am Sonntagabend die Dokumentation Polyland vorgeführt. Mit der Intention einen Film über Intersektionalität und das Gefühl “anders zu sein“ zu produzieren, hat die Filmemacherin Dasa Raimanova insgesamt drei sich von der polnischen homogenen Masse abhebende Menschen durch ihren steinigen Alltag begleitet: Ania – Transfrau mit ihrem geistig behinderten Sohn Oscar; Emelda – halb Polin, halb Surinamerin und Miriam – halb Polin, halb Syrerin und Muslima. Gemeinsam haben alle drei und ihre Familien nicht nur die ständige Konfrontation mit Stereotypen, sondern sie teilen auch die Angst am Nationalfeiertag auf die Straße zugehen und fühlen sich in ihrer Freizügigkeit stark eingeschränkt.

Das große Interesse am Frauenprotest und dem Equality Festival haben demonstriert wie empowernd intersektionale, feministische Veranstaltungen sein können. Aber genauso erschreckend hat diese Woche erneut aufgezeigt, wie zwingend notwendig solches Engagement in Zeiten von zunehmender rechter Stimmungsmache ist, wie sie auch schon längst Deutschland eingeholt hat. 

A. J.